History:Die Melancholie des Wanderers

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Die Melancholie des Wanderers

von Fussel980


Ist es eine Art Fluch? Stille umfängt mich, ist allmächtig und hinterlässt in mir ein Gefühl der Leere, als wäre ich ein nichts und ein niemand, genau das, was die Leute immer von mir erwarten. Was habe ich dir getan, Welt? Habe ich dich hintergangen, sowie du mich hintergehst? Regentropfen fallen leise zu Boden und die Wolken ziehen am himmlischen Firmament vorüber. Wenn sie den heißen Stein benetzen verfärbt dieser sich grau, während von dem Tropfen nichts mehr übrig bleibt. Vielleicht bin ich ja auch wie dieser Regentropfen, finde nie einen Anschluss, genau wie meine Worte auf taube Ohren stoßen. Ich bin nun einmal nicht wie die anderen, aber ist es schlimm? Ist es so fatal nicht dem Strom zu folgen und seinen eigenen Weg zu gehen? Dem Strom der Sterne zu folgen? Manchmal, aber nur ganz selten, sitze ich alleine an einer Klippe, starre auf das dunkle Meer unter mir und richte meine Augen hinauf in den von Sternenübersäten Himmel. Ich sehe eine Sternschnuppe und wünsche mir, dass ich jemanden finde, der mich akzeptiert, der mir ein Freund ist, und ich nicht mehr alleine im Mondlicht tanzen muss. Doch dann, wenn ich wieder einem Menschen die Hand reiche, erlischt meine Hoffnung um dann in der Nächsten Nacht erneut aufzuflammen.

Sonnenstrahlen durchbrachen die gräulich-weiße Wolkendecke und suchten sich einen Weg durch die dunkelgrünen Blätter der Bäume. Dunstiger Nebel hatte sich über die Hügel des Tales gelegt und der Morgen lag so spürbar in der Luft, dass man meinte, ihn beinahe berühren zu können. Eine sanfte Brise rauschte durch den Wald, sang dabei sein schauriges Lied, während es die dunkelbraunen Haare des Teenagers durchkämmte, der seinen Blick auf die spiegelglatte Oberfläche gerichtet hatte. Eine einzelne Träne rann seine blasse Wange hinab, und das Wasser kräuselte sich, ehe es wieder zum Stillstand kam. Wieder einmal war er dazu verdammt, sich wie ein Aussätziger zu fühlen, hinab geworfen in ein stilles Meer der Verzweiflung. Er erhob sich von dem Stein, der zuvor seine Sitzmöglichkeit gewesen war. Sein Brustkorb hob sich, als er rasselnd einatmete und sich umwandte, bereit erneut seine kurzweilige Heimat zu verlassen, wie schon so oft in den vergangenen tausend Jahren.

Er würde in ein neues Dorf kommen. Mit jedem Dorf kam die neue Hoffnung und erstarb sogleich wieder, wie eines dieser bemitleidenswerten Wesen, die schon bei ihrer Geburt dem Tode geweiht waren. Es war ein beschwerlicher Weg, doch dies war das kleinste Hindernis für den Braunhaarigen. Wenn er etwas konnte, dann war es, sich schnell zu bewegen. Gewiss war seine hohe und zugleich schlanke Statur von geraumem Vorteil, doch auch der schuppige Schwanz, den er hinter sich trug war ein Nutzen, da er damit hoch springen konnte. Er half zudem dabei ein perfektes Gleichgewicht an den Tag zu legen. Ein Segen sowie ein Fluch, denn er war einer der Gründe, warum die Menschen sich von ihm fern hielten.

Die Sonne war einmal über den Himmel gekrochen und ein sichelförmiger Mond trat an ihre Stelle, welcher in seinem fahlen Licht den grauen Granit zu beiden Seiten des einsamen Wanderers erhellte, da erreichte er ein Dorf. Für all jene, die sich immer daran orientieren, wie es die meisten Menschen tun, man schreibt das Jahr nach der Zeitrechnung, nach den Kriegen und dem Zerfall der Neuzeit. Die ehemaligen Metropolen sind nur ein Schatten ihrer Trümmer und die Menschen leben gleich der Zeit, die man »Mittelalter« nannte. Wir sind hier im alten Stoland, nahe der Steilküsten, bei den Dörfern, die von den niedrigen Bergen umgeben sind. Eine Art Schutzwall wurde um die Häuser errichtet und das Klopfen des jungen Mannes schien gleich einem Gewehrschuss in der Stille. Sofort öffnete die kleine Luke und ein grimmig dreinblickendes Augenpaar erschien.

»Was willst du? «, fragte er über seinen grauen Schnurbart hinweg.

»Ich suche eine Unterkunft für diese Nacht und hoffe, dass ihr mir Einlass geben werdet. «, der Mann schien über seine Stimme überrascht, die so durchdringend, so melodisch war, dass es schon beinahe grotesk erschien.

»Name? «, brummte er erneut.

»Anthony McDane. «, erwiderte er und biss sich kurz auf die Unterlippe. Der Mann zog eine Augenbraue hoch. Konnte er diesem Kerl mit dem komischen Namen trauen? Seine smaragdgrünen Augen konnten einem Angst einjagen, so hell leuchteten sie, wurden nur vereinzelt von den dunklen Haarsträhnen verdeckt, die ihm ins Gesicht fielen.

»Dann komm herein. «

Es gab ein lautes Knarren, als das schwere Holz über den Boden schabte. Anthony schluckte schwer, ehe er eintrat und kam war sein Körper gänzlich hindurch geglitten, da keuchte der Mann auf und schlug sich die Hand vor den Mund.

»Maria, Mutter Gottes, was bist du für ein Wesen?! «, keuchte er und wich zurück, sein schwerer leib stieß gegen eine Wand und eine Katze fauchte laut auf, die dadurch aufgeschreckt war. Nur ein tristes Lächeln huschte über seine rosé-farbenen Lippen, er wandte sich ab und ließ den Mann in der Dunkelheit stehen. Seine Finger schob er in die Jackentaschen seines langen, grauen Mantels, der ihn bis über die Kniekehlen reichte. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem, was jetzt geschah. Das letzte Dorf, indem es ein derartiges Schauspiel gegeben hatte, war eines in Schottland gewesen. Neben ihm landete ein brennender Pfeil, hatte ihn nur um Haaresbreite verfehlt und noch immer klang das Surren in seinen Ohren. Mit einer blitzschnellen Bewegung, die vor dem menschlichen Auge zu verschwimmen schien, drehte er sich um und sah eine Horde Männer, mit Mistgabeln in der Hand.

Wo zum Henker bin ich hier gelandet? Wieder einmal erscheint alles wie in einer schlechten Überlieferung eines Filmes.

Er rannte und sein Körper wirkte wie ein Schatten der Nacht. Seine Augen ergriffen jedes Detail und erhaschten eine Seitengasse. In seiner wachsenden Panik ergriffen setze er zum Sprung an, wäre beinahe gegen eine Mülltonne geknallt und fand sich in eben dieser Gasse wieder, keuchte und lugte hinter der Ecke hervor, um sich zu vergewissern, ob seine Verfolger etwas von seinem plötzlichen Verschwinden mitbekommen hatten. Wieder einmal dankte er der Nacht, seinem einzigen wahren Freund, dass er wieder einmal Schutz fand, wie er in ihr auch Schutz vor sich selbst gefunden hatte. Anthony atmete erleichtert auf und wollte sich gerade an der Wand hinab sinken lassen, als er plötzlich eine Hand spürte. Eine Hand, welche sich unglaublich sanft anfühlte, angenehm kühl und welche unverkennbar einem Menschen gehörte. Diese Hand lag auf seinen Lippen und wollte ihn offenbar daran hindern, einen Laut von sich zu geben. Eine zweite umfasste seinen schlanken Bauch und zog ihn tiefer hinein in die Dunkelheit. Sein Atem ging ganz langsam und er versuchte jedes Detail des Menschen auszumachen. Er schien ein wenig kleiner und der Körper, der an seinen gepresst war, fühlte sich zierlich, schmächtig an. Ein ungewohnt berauschender Duft ging von der Haut aus, erinnerte ihn an Zitronen und Rosen.

Eine Minute verstrich, ehe der Druck auf seinem Mund sich lockerte und der Fremde ihn losließ. Erstmals hatte Anthony genug Freiraum sich umzudrehen und blickte geradewegs in das Gesicht eines Mädchens. Sie war einen halben Kopf kleiner und ihr herzförmiges Gesicht wurde von schwarzem, zerzaustem Haar umrahmt, welches ihre grauen Augen perfekt hervorbrachte.

Anthony konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal einem Menschen so nahe gekommen war und augenblicklich spürte er wie sein Herz sich seltsam zusammenzog, so ungewohnt, wie noch nie.

»Wer bist du? «, fragte er überrascht und mit leiser, flüsternder Stimme.

Die Fremde blinzelte und suchte offenbar nach den richtigen Worten. »Mein Name ist Lillien. «, erwiderte sie leise, mit klarer Stimme. »Darf ich fragen, warum du das getan hast? «, erkundigte sich Anthony und kratze sich mit den Fingerspitzen kurz im Gesicht.

»Weil«, sie machte eine kurze Pause, ehe sie erneut in seine jadegrünen Augen blickte, »ich nicht verstehe, warum sie dich jagen. «

Auf einmal peinlich berührt huschte ein roter Hauch auf ihre Wangen, was Anthony zu einem Lachen trieb.

»Wie dem auch sei, vielen Dank. « Er wandte sich um und machte Anstalten zu gehen. Eine Unterhaltung würde ohnehin nur zu weiterem Schmerz führen, den er sich lieber ersparen wollte.

»Warte! «, hastige Schritte ertönten hinter ihm.

»Was bist du?! «, sie hatte viel zu spät gemerkt, dass ihre Hand hervorgeschnellt war und die seine umschloss. Überraschenderweise wehrte er sich nicht, blieb nur stehen, ein Fuß hinter dem Anderen, blickte er zu Boden. »Ein Drache«, erwiderte er so voller Hass und Abscheu, dass Lillien erschrak. »Was ist daran so schlimm? « Anthony entriss sich ihrer Hand, wirbelte herum, packte sie an den Schultern und drückte sie gegen die Wand. »Du fragst, was daran so schlimm ist? Hast du nicht die Reaktion der Menschen gesehen, der Menschen die mich töten wollten?! «

Sie sah zu Boden und erst jetzt merkte der Braunhaarige, was er getan hatte. Erschrocken über sich selbst, ließ er sie los und murmelte eine leise Entschuldigung, auf welche das Mädchen jedoch nur den Kopf schüttelte. »Oh nein, ich verstehe deinen Zorn. Ich würde wahrscheinlich ähnlich fühlen, wenn plötzlich eine Horde wild gewordener Bauersleute hinter mir herlaufen würde. « Anthony lachte erneut, diesmal schwang purer Sarkasmus mit.

»Ich würde nur liebend gerne das alles hinter mich lassen, doch was nützt es? Drachen sind keine Selbstmörder, zudem kann ich das meiner Rasse nicht antun. Es gibt nicht mehr viele …« Mit verständnisvollen, grauen Augen betrachtete sie ihn. »Lass mich raten. Sie wurden ausgelöscht? «

Sie wurden ausgelöscht«, nickte Anthony. Ein lauter Glockenschlag ertönte und ein Horn wurde geblasen. »Ooh, Verdammt«, murmelte Lillien und sah in den Himmel. »Sie haben uns entdeckt. «

Der Schwarzhaarige konnte gar nicht erst fragen, woher sie dies wusste, denn sofort wurde die Dunkelheit von den Männern mit den Fackeln erhellt, die ihn an den Armen packten und mit sich führten. Er wehrte sich nicht, denn dies würde nur dazu führen, dass er einen oder mehrere von ihnen tötete.

Auch Lillien hatten sie gepackt, die mit lauten Rufen sowie mit Zähnen und Klauen sich zu wehren versuchte. Ihm kam es so vor, als hätten sie das halbe Dorf durchkämmt, als sie in eine Scheune geworfen wurden. Man legte ihnen Handschellen an und zwei dutzend Männer starrten sie wütend an. Als einer mit roten Haaren hervor trat, wusste Anthony sogleich, dass er der Bürgermeister war, denn sein Blick strahlte eine unglaubliche Autorität aus. Seine Wangenknochen zitterten, als er sprach und in jeder seiner Adern schien Hass mitzuschwingen. »Ihr beide werdet dem Tode geweiht sein! «

Lillien schrie auf, versuchte sich aufzurappeln, »Er hat euch nichts getan!«

»Schweig!«, einer der Männer gab ihr einen Tritt in die Magengegend und sie fiel rücklings in das Stroh. Anthony knurrte und einige machten einen Satz zurück, der Bürgermeister ließ sich jedoch nicht beirren. »Er ist der Teufel persönlich und strebt nur darauf hin, die Menschen auszulöschen und sie zu versehren! Morgen werde ich eigenhändig euren Tod einleiten, denn du, Lillien, bist eine Verräterin deines Dorfes! « Mit, wie Anthony fand, leicht übertriebenen Umdrehung verließ er die Hütte, die Männer mit ihm. Einige jedoch verriegelten das Scheunentor sorgfältig mit Eisenstangen. Als der Schwarzhaarige besorgt zu dem Mädchen neben sich blickte, stellte er mit Schrecken fest, dass Tränen ihre Wangen hinab rannen und dass sie sich so fest auf die Unterlippe biss, dass diese kurz davor war aufzuspringen und zu bluten. Er dachte kurz nach, ehe er tief Luft holte, die Augen schloss und zu singen begann.

Ein silbriger Schein,
das Rauschen des Meeres allein.
Durch Täler, Wiesen, Moor,
steigt unsre Geschichte empor.

Ein einsamer Weg,
den keiner verschmäht.
Der Himmel er schenkt und sein Lied,
wir sind alle des Glückes Schmied.

Verzage nicht im Dunkeln der Nacht,
das Auge des Drachen in dir erwacht.
Legenden, Mythen, alle gehören dir,
verzage nicht, ich verharre hier.

Sein Lied schien den ganzen Raum auszufüllen und Lillien sah ihn bloß mit leicht geöffnetem Mund an. Wenn irgendjemand behauptete, diese Melodie stamme vom Teufel, gehörte selbst der Ketzerei der Engel an. Anthony schwieg, ehe er lächelte. »Ich bring uns hier schon raus. Vorsicht, das wird nun ein wenig warm. «

Er holte mehrmals tief Luft und öffnete dann den Mund. Ein Feuerstrahl drang hervor, und schier explosionsartig schien die linke Wand in Staub zu zerfallen. Anthony rappelte sich auf und sein schuppiger, jadegrüner Drachenschwanz durchtrennte mit einer Bewegung die Fesseln. Sofort eilte er zu dem Mädchen, durchtrennte auch ihre und sah ihr durchdringend in die Augen. »Lillien? Wir haben nicht viel Zeit. Beantworte mir nur eine Frage: Bleibst du hier, oder begleitest du mich? «

Sie schluckte, lächelte und griff die Hand, die er ihr darbot. »Ich begleite dich. «

Schreie ertönten und Anthony zuckte zusammen. Mit einem raschen Handgriff hatte er Lillien auf seinen Rücken geladen und rannte. Rannte mit ihr durch das Feuer und durch die engen Gassen der Stadt. Das Tor erschien vor ihnen, doch mit einem weiteren Flammenstoß war auch dieses Hindernis überwunden. Er konnte nicht sagen, wie lange sie gerannt waren, doch als er stehen blieb und Lillien neben sich stellte, die leise keuchte, hatten sie das Dorf hinter sich gelassen und blickten von einer der Klippen auf das Meer.

»Hier fühle ich mich zu Hause«, wisperte Anthony in den Wind hinein und seine Worte wurden mit der Meeresbrise davongetragen. Sterne funkelten am Firmament und er ließ sich nieder, die Beine baumelten über den steilen Abhang. Er spürte, wie sich Lillien neben ihm niederließ. »Ich habe mir Drachen immer anders vorgestellt. «, sagte sie leise. Er lachte auf. »Wie denn?«

»Groß, schuppig und mit Flügeln … nicht so gutaussehend.« Sie kicherte und auch er konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. Er verfing sich in ihren grauen Augen. Lillien atmete tief ein. »Ich habe sofort gesehen, dass du etwas Besonderes bist. Und weißt du wieso? Ich sah es in deinen Augen. Sie strahlen das Feuer in dir aus, Stärke und auch Einsamkeit. Diese Augen, die so tief sind wie das Meer veranlassten mich, mit dir zu gehen. In den Tiefen deiner Augen fühle ich mich sicher. «

Der Schwarzhaarige erhob sich, ergriff Lilliens Hand, zog sie hoch. Er lächelte kurz, ehe er seine Lippen behutsam auf ihre legte. Ein seltsames Gefühl durchströmte ihn bei dem Kuss und schlagartig wurde ihm bewusst, dass diese verdammte Einsamkeit ein Ende hatte. Ob nach Stunden oder Tage, er wusste es nicht, löste er sich von ihr.

»Mein Wunsch war es, an dem Tag, da ich meine Melancholie verliere, zum ersten Mal im Leben meine Flügel auszubreiten. « Mit einer flüchtigen Bewegung streifte er den Mantel ab unter dem ein schwarzes Hemd zum Vorschein kam. Er stellte sich hinter Lillien, legte seine Arme um ihren Brustkorb und drückte sie an sich, immer noch lächelnd. Er schob sie vor sich her und spürte ihr Herz schneller schlagen, da ihre Zehenspitzen über den Rand der Klippe ragten. »Halt dich gut fest.«, hauchte er in ihr Ohr und sie fielen hinab, da gab es ein Reißen und zwei riesige Flügel brachen aus Anthonys Rücken hervor, ein Windstoß nahm sie auf und sie beide schrien in einem Gefühl der Freiheit gleichzeitig auf.

Der Himmel, der Mond die Sterne, das Flüstern des Windes und des Wassers, der wahre Sinn der Natur, das alles schien mit einem Schlag die beiden Wesen zu überrumpeln, in dem Moment, da sie beide wirklich wussten, was das Worte Erfüllung oder besser Freiheit bedeuteten.