History:Der Weg zum König

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Der Weg zum König

von Arlen


Die Welt war verschwommen. Er nahm sie nur wie durch einen Nebelschleier war. Männer kämpften und starben um ihn herum ohne, dass er mehr von ihnen wahrnahm als dumpfe Schemen und weit entfernte Schreie. Klar stand ihm jedoch das Blut an seinen Händen vor Augen. Der Dolch in seiner Linken war getränkt von hellrotem Lebensblut und der eigentliche Beidhänder in seiner Rechten wies eine neue Kerbe auf, wo er dem Schwert eines Gegner gekreuzt und es glatt entzwei geschnitten hatte, bevor es kaum einen Herzschlag später dessen Kopf kullernd in eine Ecke geschickt hatte.

„Dämonenjäger, es ist getan!“, drang eine plötzliche Stimme in sein abgeschottetes Bewusstsein. Dämonenjäger. Amras Dämonenjäger. Ja, das war der Name den sie ihm gegeben hatten. Nach den Flüchtlingskriegen, in denen er einen Mann der Schwarzen Garde mit bloßen Händen erwürgt hatte, um seine Freunde zu schützen. Amras Dämonenjäger. Das hörte sich bei Weitem besser an, als Amras Millersson, wie er früher geheißen hatte. Amras Dämonenjäger. Das war sein Name…und sein Feind war Arthanon! Mit einem tiefen Atemzug kehrte Amras wieder in die wirkliche Welt zurück. Der Raum um ihn herum war getränkt vom Blut der toten Wachen, deren leblose Körper den Boden bedeckten.

„Hast du ihn, Ragen?“, fragte er mit einer sonoren, nicht unangenehmen Stimme. „Ja. Er war noch nicht ganz tot als ich ihm den Kopf abgeschnitten habe. Seine Augen werden unserem falschen König einen schönen Schrecken einjagen“, sagte der Gefrage grinsend und hielt Amras einen frisch abgetrennten Kopf hin. Amras nahm ihn entgegen und hüllte ihn in ein Tuch ein.

„Ich hoffe das wird ihn endlich zum Abtritt bewegen! Ich bin es leid im Namen der Freiheit weiter zu morden. Aber was getan werden muss, wird getan werden. Wir haben nicht in den Flüchtlingskriegen für Freiheit gekämpft, um am Ende auf der falschen Seite zu stehen und von den Schergen des falschen Königs niedergejagt zu werden!“

„Es wird schon gehen. Der Brief ist vorbereitet. Den Kopf des Wachkommandanten haben wir und unsere Spione berichten, dass Arthanon die ganze Nacht über im Spinnenwald jagen sein wird. Die einzige Frage ist nun, wie kommen wir in die Donnerspitze?“ Amras schaute sich nachdenklich um und sah seine anderen fünfzehn Kameraden der Reihe nach an, die in einem weiten Kreis um ihn herum standen. „Hat jemand von euch eine Idee?“, fragte er laut.

„Ich glaube wir sollten die Hauptstraße nehmen und dann…“, meldete sich ein vierschrötiger Mann zu Wort und wurde sogleich von Ragen unterbrochen: „Bist du wahnsinnig?! Auf der Straße wird man uns sofort entdecken du Tölpel!“ „Warte Ragen. Es ist nicht so dumm wie du denkst was mein junger Freund hier von sich gibt“, sagte Amras ruhig „Auf der Hauptstraße wird man uns Rebellen“, er spuckte das Wort förmlich „am wenigsten vermuten. Sprich weiter“ „Wie schon gesagt, wir nehmen die Straße, bezahlen den Brückenzoll ganz legal an den Brückenwächter. Danach weichen wir von der Straße ab und gehen durch die Schattentunnel hoch zur Burg.“, antwortete der Mann. „Soll es in den Schattentunneln nicht spuken?“, meldete sich ein anderer Mann mit besorgtem Blick zu Wort. Ragen lachte laut auf und sprach amüsiert: „Motir, du hast mit uns gegen die Schwarze Garde von den Südlichen Inseln gekämpft. Was können dich ein paar Gespenster da noch schrecken?“

„Können sie nicht“, sprach der Mann halb beleidigt „Ich wollte es nur Mal in den Raum werfen“

„Hat sonst noch jemand was gegen den vorgeschlagenen Weg einzuwenden, oder sind wir uns über ihn einig?“, dröhnte Amras Stimme über das Gemurmel hinweg, dass unter seinen Männern über das Für und Wider einer Begegnung mit einem Gespenst losgebrochen war. Es verstummte mit einem Schlag und seine Männer schüttelten nur noch verneinend ihre Köpfe.

„Dann ist ja gut. Auf zur Gespensterjagt, oder wenn ich mir dich so anschaue, Chef, könnten wir eher Dämonen gebrauchen. Die Gespenster hätten zu sehr die Hosen voll, um sich vor dir Blicken zu lassen.“, sagte Ragen lachend und ließ den Blick scherzhaft über Amras‘ in der Tat imposante Größe von sechseinhalb Fuß schweifen.

„Dann lasst uns Arthanon ein wenig Angst einjagen, Leute. Ach und denkt daran beim Rausgehen ein paar Fackeln auf dem Dach zu lassen, damit unsere Freunde es hier drinnen auch schön warm haben“

Amras‘ Leute grinsten und folgten ihrem Anführer rasch nach draußen, brennende Fackeln in der Hand. Es war eine schöne Nacht. Der Juni hatte gerade Einzug gehalten und so war es angenehm warm, als Amras und seine Männer in einem kleinen Zug über die Hauptstraße schritten. Hinter ihnen war die Dunkelheit hell erleuchtet von der brennenden Wache.

Amras trug den Kopf des Wachkommandanten in dem Tuch unter seinem Arm. Sein Beidhänder war locker auf seinem Rücken festgeschnallt und sein Dolch steckte in seinem Gürtel. Neben ihm schritt Ragen. Er war ein Mann von etwa dreißig Jahren mit dunkelblondem Haar, das ihm glatt und wellenlos auf die Schultern fiel. In krassem Gegensatz zu seinem ewigen, schelmischen Lächeln stand das schartige Kurzschwert, das er in einer Hand hielt und das beim Gehen locker gegen seine Rindslederstiefel schlug, die schon einmal bessere Tage gesehen hatten. Über seinen Rücken hatte er sich einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen gehängt.

Den beiden folgten fünfzehn weitere Männer. Allesamt waren sie harte, kampfgeprüfte Kämpfer, gekleidet in abgewetztes Leder und fleckige Stoffe. Ihre Bewaffnung war zusammengewürfelt aus allem was geplünderte Waffenkammern hergegeben hatten, oder was sie hatten ihren toten Gegnern hatten abnehmen können. Speere, Lanzen, Schwerter, Dolche und sogar ein Krummsäbel aus dem fernen Osten. Doch alles war schartig, abgenutzt von den Flüchtlingskriegen und ihrem persönlichem Krieg gegen Arthanon.

In der Ferne nahm eine schmale Linie Gestalt an und ein Häuschen und eine Brücke tauchten aus der Dunkelheit auf. Als die Gruppe das Haus erreichte, dass direkt daneben stand, rief Amras: „Grimmir, komm raus. Wir wollen den Brückenzoll bezahlen!“ „Wer ist es, der ihn zahlen will?“, die Stimme, rau wie ein Schleifstein ertönte eine Handbreit hinter Amras Ohr. Er fuhr herum und spürte eine kalte Schwertspitze an seiner Kehle.

Die Hand die das Schwert hielt war eingehüllt in den schwarzen Ärmel eines Kapuzenumhangs. Der Mann war sogar noch größer als Amras, zumindest sein Schemen, denn der Umhang verbarg ihn vollkommen, nur seine Augen leuchteten gelb und mit großen, schwarzen Pupillen unter der Dunkelheit der Kapuze hervor.

„Kommt es mir nur so vor, oder bist du bei Tag kleiner, Grimmir?“, sagte Ragen, mühsam seinen Schreck unter einem Lächeln verbergend. Es gelang ihm nur halb.

„Was ich bei Nacht bin, das geht nur mich etwas an, Kleiner“ die Stimme klang drohend „Sagt ihr mir nun wer ihr seid, oder soll ich eure Schwänze abschneiden und sie an die Wildhühner verfüttern, bis ihr redet?“

„Wir sind neue Rekruten für die Stadtwache. Wir sollen uns für die Grundausbildung einfinden“, log Amras ohne mit der Wimper zu zucken.

„Ach ja? Warum seid ihr dann mitten in der Nacht unterwegs und begehrt über die Brücke zu gehen?“

„Unsere Beutel sind leer – bis auf den Brückenzoll – wir konnten uns keine Herberge leisten“

„Die Wälder sind gefährlich, besonders für einfache Wanderer, die noch nicht einmal die Grundausbildung hinter sich haben. In den Wäldern wimmelt es von Rebellen…Du riechst nach Blut. Was ist geschehen?“, Grimmir strich wie eine gigantische Katze um Amras herum und ein schwaches Schnüffeln drang unter der Kapuze hervor.

„Wir…Wir wurden überfallen. Eine Gruppe Räuber…halb verhungert…sie schienen verzweifelt…“

„Bist du sicher, dass du mir alles gesagt hast? Ich kann Lügner nicht leiden und glaub mir, ich finde es heraus, ob du gelogen hast oder nicht.“

„Ja. Es ist die volle Wahrheit. Jetzt lass uns durch. Die Nacht wird nicht länger wenn wir hier stehen und reden.“ Amras hatte sich wieder völlig in der Gewalt.

„Nun, das macht dann,“ Grimmir zählte die Köpfe „vierunddreißig Taler.“

„Hier hast du sie“ sagte Amras und zahlte die Maut.

Wortlos nahm der Brückenwächter das Geld und verschwand lautlos im Wald.

Ohne zu sprechen standen die Männer noch einige Zeit da, wo der Brückenwächter sie verlassen hatte, bevor Ragen sich endlich aufraffte und sagte: „Los. Wir haben eine Mission. Wie geht’s weiter?“

„Wir gehen über die Brücke und weichen bald in den Wald ab. Wenn ich richtig liege, sollten wir da einen Eingang in die Schattentunnel finden“, sagte der Mann, der vorher diesen Weg vorgeschlagen hatte.

„Dann los!“, sagte Amras und betrat die Brücke.

Der Eingang ragte wie ein riesiges Maul vor der Gemeinschaft auf. Unheilvoll und bedrohlich wirkte der Einstieg zu den Schattentunneln, wie ein Vorbote der Verdammnis und als wollte er diesen Eindruck noch verstärken, drang ein langer, hoher und seltsamer Laut aus dem dunklen Schlund.

„Was zur Hölle war das?!“, fragte einer der Männer und zog abwehrend sein Schwert.

„Nur der Wind, Angsthase. Das haben Höhlen so an sich“, sagte Ragen zwar ironisch lächelnd, doch merklich erschüttert.

„Wollt hier ewig stehen und reden? Oder wollen wir endlich den Kopf abliefern? Na los, macht die Fackeln an!“, sagte Amras bestimmt und betrat die düstere Schwärze.

Selbst im Fackelschein war nur ein kleiner Teil des schnurgraden Gangs erleuchtet. Der Rest lag in Düsternis verborgen. Viele der Männer sahen sich immer wieder besorgt nach dem lichten Punkt um, an dem sich der Eingang befinden musste. Doch plötzlich machte der Gang eine Kurve und beendete auch diese Option.

Ohne Abzweigung führte der Tunnel in den Berg. Die dunkle Straße führte hinauf und hinab, an Felsspalten und dunklen Löchern vorbei, die in die Tiefe führten. Kein Laut war zu hören, nur die Schritte der siebzehn Menschen, die ein regelmäßiges Klopfen auf dem Fels hinterließen.

„Habt ihr nicht auch das Gefühl, dass wir hier nicht sein sollten?“, fragte einer der Männer ängstlich, als sie an einem weiteren Loch vorbeikamen, aus dem faulige Luft nach oben stieg.

„Was hast du? Das ist nur eine Höhle!“, sagte Amras ärgerlich, doch das unbehagliche Gefühl hatte auch ihn erfasst.

Plötzlich schrie einer der Männer auf. Eine Hand, blass wie der Tod und mit unnatürlich langen Fingern war blitzschnell aus dem Loch geschossen und hatte sich um sein Fußgelenk geschlossen. Starr vor Schreck konnten die anderen nur zusehen, wie er von den Beinen gerissen und auf das Loch zu geschleift wurde. Verzweifelt klammerte er sich am Rand fest, doch die Hand war stärker. Langsam aber sicher lösten sich seine Finger, doch dann packte Amras seinen Arm und zog ihn nach oben.

Langsam aber sicher, kam der Mann wieder zum Vorschein. Dann waren auch seine Beine wieder zu sehen und die Hand die den Knöchel immer noch umklammert hielt.

„Verschwinde du Mistvieh!“, brüllte Ragen und hieb auf die Hand knapp unter den Fingern ein. Ein Quieken ertönte und der Arm verschwand blitzschnell wieder im Loch.

„W-W-Was war das?“, fragte der Mann mit schreckgeweiteten Augen.

„Keine Ahnung!“, sagte Amras. Auch in sein Gesicht war blanke Angst geschrieben „Aber ich fresse mein Schwert, wenn das das einzige war. Los weiter und haltet euch von den Löchern fern!“

Mit gezogenen Waffen gingen sie weiter. Der Weg schien kein Ende zu nehmen. Plötzlich tauchte eine Gabelung aus der Dunkelheit auf. Beide Wege sahen gleich aus, nur dass der Linke nach oben und der Rechte nach unten in die Tiefe führte.

„Welchen Weg sollen wir nehmen?“, fragte Ragen an Amras gewandt.

„Ich denke wir sollten nach oben gehen. Ich habe ein schlechtes Gefühl mit dem Rechten und die Donnerspitze ist auf der SPITZE des Berges“, antwortete dieser.

„Dann los“, antwortete Ragen und ging in den Gang hinein.

Dieser sah genauso aus wie der erste, nur dass er natürlicher wirkte. Auch hier waren überall Löcher, die in die Tiefe führten. Fauliger Gestank drang aus allen heraus. Die Männer mussten sich die Nasen zuhalten um den Brechreiz zu unterdrücken.

„Dort, dahinten ist ein Lichtschein. Wir kommen bald raus aus diesem Drecksloch!“, schrie einer der Männer unvermittelt und stürmte nach vorne um besser sehen zu können „Ja, da vorne ist Licht, da…“ sagte der Mann noch bevor er von einem lauten Krachen unterbrochen wurde. Mit riesigem Getöse und Massen an Staub brachen Felsbrocken aus der Decke und fielen zwischen dem Mann und seinen Gefährten zu Boden.

„RENNT!“ brüllten Amras und Ragen wie aus einem Munde und die Männer rannten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Felsbrocken, groß wie ausgewachsene Männer stürzten hinter ihnen hinab und blockierten den Weg.

Die Männer rannten, bis sie wieder bei der Weggabelung angelangt waren, bevor sie stehen blieben um Atem zu holen.

„Das war doch kein Zufall“, keuchte ein Mann, der direkt neben Amras stand und packte ihn beschwörend am Umhang: „Erst die verdammte Hand und jetzt DAS! Diese Höhle ist böse! Lasst uns zurückgehen! Lasst uns einen anderen Weg versuchen!“

Mit einem kräftigen Stoß befreite sich Amras aus dem Griff des Mannes und sagte: „Willst du dich wie ein feiger Hund zurück in dein Loch treiben lassen? Dann geh wenn du willst! Als ich an deiner Seite gegen die Schwarze Garde gekämpft habe, Marc, hätte ich nicht gedacht mich mit einem Feigling umgeben zu haben!“

„Ich bin kein verdammter Feigling, Amras! Ich will mich nur nicht hier unten abschlachten lassen!“ In den Augen des Mannes flammte Zorn auf.

„Dann hau ab! Niemand hindert dich!“

„Ich gehe! Sterbt hier unten wenn ihr wollt! ICH will die Sonne nochmal sehen, bevor ich sterbe! Seid ihr alle so dumm, oder kommt wer mit mir?!“

„Tut mir leid, Marc. Ich habe einen Eid geschworen, solange nicht zu ruhen oder umzukehren, bis der falsche König gestürzt ist. Solange habe ich mich Amras als Anführer anvertraut. Du musst wohl alleine deine geliebte Sonne wieder sehen“, sagte ein anderer, grobschlächtiger Mann, mit einer furchterregender Narbe, die sich quer über sein Gesicht zog und die anderen nickten zustimmend. „Fickt euch doch, ihr Narren!“, sagte Marc, fuhr auf dem Absatz herum und ging wütend den Gang zurück, den sie zuvor gekommen waren. „Was machen wir?“, fragte Ragen.

„Na was wohl? Marc hinterherrennen, oder was dachtest du?“, sagte Amras grinsend.

Ragen lachte auf. „Klar. Oder wir nehmen den anderen Gang.“

Obwohl der Gang steil in die Tiefe führte, war es Amras, als würde die Luft mit jedem Schritt wärmer werden. Schweißtropfen rannen ihm immer schneller übers Gesicht und sein Umhang klebte an seiner Haut. Den anderen schien es nicht besser zu gehen, denn auch Ragen keuchte und lies sein immer noch gezogenes Kurzschwert lose gegen seine Beine schlagen.

Amras begann sich schon nach der Ursache der ungewöhnlichen Hitze zu fragen, als er eine Antwort bekam. Unvermittelt öffnete sich der enge Gang zu einer schier riesigen Halle. Überall war der Boden von Lavateichen und Seen von fauligem, grünem Wasser durchsetzt. Nur durch die Mitte der Halle führte ein schmaler Steg, der an keiner Stelle unterbrochen wurde…und auf diesem schmalen Steg stand jemand. Er stand mit dem Rücken zu den Männern, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnten, doch sein langer Umhang und der alte Speer in seiner Hand wirkten seltsam vertraut im Lavaschein.

Ragen trat vor und rief der Gestalt zu: „Marc! Ich wusste doch, dass du kein Feigling bist! Wolltest uns wohl einfach überraschen“ Als jedoch keine Antwort kam, trat er noch weiter vor und rief wieder: „Marc? Was ist los? Hast du deine Zunge verschluckt?“

Diesmal klang jedoch Unsicherheit in seiner Stimme mit. Die Gestalt antwortete nicht, begann jedoch langsam sich umzudrehen. Alle keuchten, als das Licht auf seine Brust fiel. An dieser Stelle war sein Umhang blutig und zerrissen. Darunter war das Fleisch schier zerfetzt, wie von unmenschlich grausamen Krallen. Seine Augen waren in jäher Todesangst aufgerissen und – erstarrt. Aus seinem rechten Mundwinkel lief noch während die Männer hinschauten ein dunkles Rinnsal Blut. Niemand konnte solche Wunden erleiden und leben, doch Marc bewies das Gegenteil. Oder…war er am Leben?

Ein jähes Geräusch hinter ihnen lies Amras herumfahren. Aus dem Gang, aus dem sie gekommen waren, war, ohne dass einer von ihnen es gehört hätte ein Geschöpf gekommen. Es war klein und Missgestaltet. Seine knochenweiße Haut wurde rötlich von der Lava um es herum beleuchtet.

An einer seiner beiden Hände fehlten drei der unnatürlich langen Finger, wie von einem Schwerthieb abgetrennt. In der anderen hielt es einen menschlichen Kopf an den Haaren fest. Als Amras es anstarrte, kräuselte sich sein lippenloser Mund zu einem höhnischen Lächeln und es schwang das Gesicht des Kopfes ins Licht der Lava. Der Mann, der in dem eingestürzten Gang so ungestüm nach vorne geprescht war, starrte Amras aus leeren Augen an. „…nein…“, flüsterte er mit belegter Stimme.

„Dafür wird dieses Vieh büßen!“, brüllte Ragen und ging drohend auf die Kreatur zu.

„Genau! Sein hässlicher Kopf wird unserem König auch gut tun!“, sagte einer der anderen.

Als hätte die Kreatur verstanden was gemeint war, wurde ihr höhnisches Lächeln noch breiter und es winkte mit seiner verstümmelten Hand. Hinter ihm trat noch eine Gestalt aus der Dunkelheit und noch mehrere, bis hinter ihm beinahe drei Dutzend Gestalten versammelt waren. Allesamt waren sie in verschiedenen Stadien der Verwesung gefangen. Von noch beinahe frischen Leichen, gab es da ehemalige Menschen, die schon Jahrhunderte tot sein mussten.

Als Ragen diese unheimliche Streitmacht erblickte, entgleisten ihm sämtliche Gesichtszüge. Seine blaugrauen Augen waren weit aufgerissen und seine Lippen zitterten.

„…lauft…“, drang seine Stimme schwach und heiser aus seinem halb geöffneten Mund.

Das mussten die Männer sich nicht zwei Mal sagen lassen. Sie rannten den Steg entlang, direkt auf Marc zu, der sie immer noch aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. Als Amras ihn erreichte ramme er ihn einfach kurzerhand mit der Schulter vom Steg und rannte weiter auf das dunkle Loch am anderen Ende der Halle zu.

Und plötzlich war die Welt um ihn herum wieder vernebelt. Wie ein Träumender verfolgte er sich selbst wie er an der Spitze seiner Leute durch dunkle Gänge jagte. Wie aus weiter Ferne drangen Schreie an sein Ohr, von Männern die stürzten und von Untoten befallen wurden, oder von weißen Händen in schwarze Löcher gezerrt wurden.

Doch bald verlor sein Wachtraum den Fokus und seine Gedanken wanderten ab. Er war wieder ein Junge von sechzehn Jahren, in seinem Heimatdorf Sommerweide. Ein großer, gutaussehender Mann stand auf dem Marktplatz, umgeben von vielen gepanzerten Männern und redete. Arthanon. Amras konnte sich nicht mehr an die Worte erinnern, doch er wusste, dass sie gut geklungen hatten. Worte von Ruhm und Heldentum in der Schlacht, von tapferen Rittern, die ihr Leben für ihre Lehnsherren ließen. Amras wusste was weiter passiert war. Er war Arthanons Armee beigetreten und in den glorreichen Krieg gezogen.

Der Wachtraum veränderte sich. Schwerter hoben und senkten sich blutig rot um ihn herum. Schreie von Verwundeten oder Sterbenden drangen unter dem anderen Schlachtenlärm an sein Ohr. Er selbst stand inmitten einer Handvoll anderer Jungen, die mit ihm Arthanon gefolgt waren. Mehr schlecht als recht waren sie mit Sensen und Mistgabeln ausgerüstet. Hier und da gab es einem verbeulten Helm, oder eine zerkratzte Brustplatte, die wohl einmal einem Toten gehört haben musste.

Mit aller Kraft donnerte Amras seine eigene Holzfälleraxt gegen den Schild eines Feindes und wich im gleichen Zug dem beidhändig geführten Schwerthieb eines anderen aus. Aus dem Augenwinkel sah er seinen jüngeren Bruder Nekas, der versuchte es ihm gleich zu tun, jedoch weniger Glück hatte. Sein Fuß rutschte im blutigen Schlamm ab und er verlor das Gleichgewicht. Ein großes Schwert fuhr pfeifend durch die Luft und traf ihn an der Brust. Mit einem Schrei der Amras in den Ohren hallte und einem grellroten Schwall Blut flog der Junge nach hinten den Schlamm.

„NEIN!“ hörte Amras sich selbst wie aus weiter Ferne schreien und auf seinen sterbenden Bruder zustürzen. Wie aus dem Nichts bohrte sich ein Speer in seine Seite und bitterer Schlamm füllte Mund und Nase als der Boden ihn mit sanften, kalten Armen in Empfang nahm. Die Schlacht war vorbei. Er stand inmitten einer großen Menschenmenge, die um eine Reihe von Galgen versammelt war. Seine Seite war bandagiert und schmerzte. Amras war schwach. So schwach, dass er sich auf einen Mann neben ihm stützen musste, der sich ihm zuvor als Marc der Bader vorgestellt hatte.

Auf den Galgen stand eine Reihe von Männern und Frauen mit Schlingen um den Hals und daneben ein Mann mit bläulicher Rüstung und einer Rolle Pergament in der Hand.

„Diese Verbrecher und Kollaborateure mit dem Feind“, verkündete er mit Achtung heischender Stimme „wurden für ihren Verrat von unserem großen und prächtigen König Arthanon, dem ersten seines Namens und Herr der Donnerspitze zum Tod durch den Strick verurteilt. Zu vollstrecken von seinem treuen Diener und Herold Elias, aus dem Hause Loki und Erbe zu Vespilan. Mögen sie für ihre Sünden in der Hölle schmoren und…“

Der Herold wurde von einem der Männer auf dem Galgen unterbrochen, der an seinem Strick riss und brüllte: „ERBARMEN! Wir haben doch nichts getan! Wir sind doch nur Bauern! Sie sind gekommen und haben unser Korn gefressen! Danach haben sie unsere Speisekammern geplündert und was sie nicht mitnehmen konnten verbrannt! Wir sind unschuldig! Erbarmen!“ Tränen kullerten über das verzweifelte Gesicht des Mannes und ein haltloses Schluchzen schüttelte seinen Körper.

„Schweig du Wurm! Du beleidigst meine Ohren und die dieser ehrlichen Soldaten mit deinem idiotischen Gesabber! Unser König weiß doch genau, dass ihr Verräter dem Feind freiwillig Essen und Waffen übergeben und ihm dann auch noch Glück für die Schlacht gewünscht habt!“, sagte der Herold mit verächtlichem Blick und spuckte auf den Boden. „Hängt diese Unwürdigen“ fügte er hinzu und trat auf den Schalter, der den Verurteilten den Boden unter den Füßen nahm.

Eine Welle der Empörung durchfuhr Amras als er die in der Luft um sich tretenden Gestalten betrachtete. Doch dann dachte an den Tag an dem Arthanon in sein Dorf gekommen war und an die Art wie er gesprochen hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dieser weise Anführer jemanden zu Unrecht zu Tode verurteilen könnte. Beruhigt von diesem Gedanken verschwanden seine Zweifel wie Schnee im Frühling und er schloss sich den wütenden Rufen um ihn herum an, die die Gehängten als Verräter und Kollaborateure beschimpften. Wieder einmal verschwamm seine Sicht und klärte sich wieder. Seine Seite hatte aufgehört zu schmerzen und nur noch eine blasse Narbe erinnerte ihn an die einstige Verwundung. Dafür jedoch waren unzählige weitere Narben und kleinere Wunden dazugekommen und aus dem Flaum der sein Kinn mit sechzehn noch umgeben hatte, war ein kräftiger Vollbart gewachsen. Offenbar waren Jahre vergangen. Amras ritt auf einem großen, schwarzen Streitross inmitten einer Hundertschaft von Arthanons Soldaten. Neben ihm ritten Marc der Bader und ein um einiges jüngerer Ragen neben zwanzig weiteren Soldaten aus ihrer Einheit.

Ein Hörn dröhnte und aus dem Gebüsch an der Straße stürmten schwarze Gestalten mit gezückten Waffen hervor, die sich auf Amras und die anderen stürzten.

Unvorbereitet, wie man die Soldaten getroffen hatte, hatten die Angreifer zunächst ein leichtes Spiel. Viele wurden niedergemacht, bevor sie die Waffen aus den Scheiden bekamen und ernsthafte Gegenwehr leisten konnten.

Amras riss sein Schwert aus dem Gürtel und trieb sein Schlachtross auf die Soldaten der Schwarzen Garde zu, gefolgt von Marc und Ragen. „ARTHANON!“, hörte man von überall her, als andere Soldaten sich ebenfalls auf die Feinde stürzten. Amras bewegte sich wie in Trance und streckte einen der schwarzen Soldaten mit den in Form von Dämonen gehaltenen Helmen nach dem anderen nieder. Sein Schwert sang ein Lied von Schmerz und Tod, als er durch die Reihen von Feinden pflügte.

Plötzlich stellte sich ihm eine riesige Gestalt in schwarzer Rüstung entgegen. Amras parierte dem Beidhändig geführten Hieb der Gestalt und ging seinerseits zum Angriff über. Wie ein Wahnsinniger schlug er auf den Feind ein doch dieser schaffte es jeden einzelnen Angriff zu parieren und Amras gleichzeitig zurückzudrängen.

Plötzlich gab es ein lautes Klingen und Amras‘ Schwert zersprang in tausend Teile. Die schwarze Gestalt hob triumphierend den behelmten Kopf und schaute auf Amras hinab, der nur noch den Griff seines Schwertes in der Hand hielt. Dieser jedoch sprang, den kurzen Moment des Triumpfes ausnutzend, die schwarze Gestalt an und zusammen fielen sie zu Boden. Beim Fallen flog dem Schwarzen Gardisten der Helm vom Kopf und gab den Blick auf ein bleiches, pockennarbiges Gesicht frei. Amras schlug zu und der Kopf des Feindes schlug hart auf die Erde. Noch einmal schlug er zu und schloss dann seine Hände um dessen Kehle. Mit aller Macht drückte er zu, bis er ein Knacken hörte und sein Gegner aufhörte sich zu wehren.

Mit zitternden Knien stand Amras auf und fand den Blick seiner Kameraden auf sich gerichtet. Die Soldaten der Schwarzen Garde waren tot oder flohen bereits. „Du…du hast ihn einfach erwürgt…“, sagte ein Junge von maximal siebzehn Jahren ehrfürchtig. Allen anderen war der gleiche fassungslose Gesichtsausdruck ins Gesicht geschrieben, bis Ragen rief: „AMRAS DÄMONENTÖTER! Hoch Amras Dämonentöter!“, und alle brachen in Jubel aus. Ein paar nahmen Amras auf die Schultern und die anderen begannen die Gardisten zu plündern. Der Jubel in Amras‘ Ohren verklang und seine siegestrunkenen Kameraden verwandelten sich in anklagende Gesichter, die ihn von allen Seiten her anstarrten.

„Das ist doch Unsinn!“, sagte er bestimmt „Die Waffen haben wir toten Gardisten abgenommen, nachdem wir sie am Feurigen Fluss geschlagen hatten!“

„Du Wurm wagst es Elias aus dem Hause Loki und Herr zu Vespilan derart dreist ins Gesicht zu lügen?!“, antwortete der Mann in blauer Rüstung wütend: „Niemand kann die Schwarze Garde besiegen! Jede Einheit, die wir bisher gegen sie geschickt haben wurde bis auf den letzten Mann ausgelöscht! Viel wahrscheinlicher ist doch, dass ihr mit dem Feind kollaboriert und er euch deshalb ausgerüstet hat!“ „Verdammt nochmal! Wir haben ehrlich gegen sie gekämpft und dabei viele tapfere Männer verloren! SIE SIND NICHT UNBESIEGBAR!“ „Unsinn. Ihr habt der Garde nur geholfen eure loyalen Kameraden zu ermorden und seid dann hierher gekommen um dem rechtmäßigen König in den Rücken zu fallen. König Arthanon hat bestimmt was mit Verrätern geschehen soll. Hängt diese Unwürdigen!“ Bei diesen Worten kamen Amras plötzlich wieder die Bauern vor Augen, die als Verräter gehängt worden waren. Plötzlich sah er wieder all die angeblichen Kollaborateure, die in seinem zehnjährigen Dienst für Arthanon hingerichtet worden waren. Waren sie wirklich schuldig gewesen? Wenn bei allen der Fall genauso lag wie bei seinem eigenen… Was für ein König erlaubte solche Grausamkeit?! Zorn durchfuhr Amras beim Gedanken an den gutaussehenden, redegewandten König Arthanon, der es so geschickt verstand die Männer um sich zu scharen.

Amras brüllte auf, zog sein neues Schwert aus der Scheide und stürzte sich auf den königlichen Herold. Dieser konnte grade noch seinen eigenen Schild hochreißen, bevor Amras‘ Schwert auf ihn niederfuhr. Amras trat zu und beförderte ihn mit dem Rücken in den Schlamm, bevor er sich umwandte und sich durch die Menge an anderen Soldaten auf die Pferde zu zu schlagen begann.

Der Traum verschwamm und wich der Wirklichkeit als ein brennender Schmerz in seiner rechten Wange aufflammte. Er schlug die Augen auf und sah Ragen, wie er zu einer weiteren Ohrfeige ausholte.

„Ist ja gut, ich bin ja schon wach“, keuchte Amras und fing Ragens Arm im Flug ab.

Ragens Gesicht war angstverzerrt als er sagte: „Sie kommen! Sie haben uns in die Ecke gedrängt! Der Tunnel ist zugemauert und keiner von uns ist stark genug durchzubrechen!“

Mit einem Schlag war Amras wieder hellwach. Er richtete sich auf und sah sich um. Ragen und acht weitere seiner Gefährten standen mit schreckgeweiteten Augen vor einer offenbar gemauerten Wand. Aus dem Tunnel hinter ihnen drangen die Geräusche von sich schnell nähernden Schritten. „Zur Seite“, sagte Amras laut und ging auf die Mauer zu, die schon etliche Kratzer und Dellen von den fruchtlosen Versuchen seiner Gefährten trugen.

Mit aller Macht warf sich Amras dagegen, doch die Wand gab nicht nach. Hinter ihm tönten immer noch zahllose Schritte aus der Dunkelheit. Er nahm erneut Anlauf und rammte seine Schulter gegen das Hindernis. Mit eben so wenig Erfolg wie beim letzten Mal. Frustriert trat er dagegen und…spürte eine Bewegung in den unteren Steinen.

„Amras! PASS AUF!“ Ragens Körper riss ihn zu Boden und ein stechender Schmerz durchfuhr seinen rechten Oberarm. Mit einem Fauchen sprang die Leiche zurück, als sie erkannte, dass ihr Angriff abgelenkt worden war. Das Wesen holte erneut aus und schlug zu. Amras rollte sich zur Seite und riss sein Messer aus der Scheide. Mit einem schnellen Hieb, wehrte er den fleischlosen Arm der Bestie ab, der wieder auf sein Gesicht zugeflogen kam. Bleiche Finger kullerten, ohne die Hand die sie festhielt, in einem wirren Haufen zur Seite, doch die Leiche schien keinen Schmerz ob des Verlusts ihrer Finger zu fühlen. Stattdessen fauchte sie erneut und ging ein weiteres Mal zum Angriff über. Dann explodierte plötzlich der Kopf der Bestie in einer Eruption aus Hirn, Knochen und getrocknetem Blut. Kraftlos sank der Körper zu Boden, wie eine Puppe der man die Fäden durchgeschnitten hatte und hinter ihr tauchte ein weiterer Soldat von Amras auf, den schweren Kriegshammer immer noch drohend im Anschlag.

„Na los Amras! Wir müssen hier raus!“, sagte der Mann und sah sich besorgt um. Wieder wandte sich Amras den Steinen zu und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Zentimeter um Zentimeter bewegte sich der Stein, doch dann hörte die Bewegung abrupt auf. Amras keuchte und verdoppelte seine Bemühungen, doch der Stein wollte sich nicht weiter bewegen.

„Verdammt nochmal! Beeilt euch, sie sind verdammt nah!“, tönte es hinter ihm.

„Ich brauche Hilfe, der Stein bewegt sich nicht mehr!“, antwortete er mit angestrengter Stimme. Amras nahm Anlauf und warf sich wieder gegen die Wand. Schweiß rann ihm in Strömen über die Arme. Die immer noch heiße Luft forderte ihren Tribut.

Plötzlich streckte sich ihm ein hilfreiches Paar Arme entgehen und ein dazugehöriger Körper presste sich mit ihm gegen den Stein. Ein vernehmliches Knirschen ertönte und mit einem Krachen brach die Wand nach innen ein. Kalte, sauerstoffhaltige Nachtluft brach wie eine Welle über Amras herein und ihm war als hätte er nie etwas Wunderbareres gekostet. „Los, alle durch jetzt!“, brüllte Ragen hinter ihm.

Amras richtete sich auf und trat schnell aus dem Eingang heraus, um den Weg für die anderen frei zu machen. Mit schweren Schritten stürzten seine Soldaten aus der Tür hinaus. Hinter ihnen aus der Dunkelheit tönten immer noch unmenschliche Schreie. Amras sah sich um. Sie befanden sich in einer großen, nach einer Seite halb offenen Höhle. An ihrem großen, gewölbten Eingang beschien der Mond, wie ein alter Freund die Gefährten. Zur anderen Seite der Höhle, markierten zwei rot glühende Fackeln den soeben aufgebrochenen Eingang, in den sich nun Leichen sammelten. Mit bleichen, toten Augen sahen sie Amras und seine Männer an, doch unternahmen keinen Versuch in die Höhle hinaus zu treten.

Mit einer drohenden Geste ballte das kleine Geschöpf in ihrer Mitte die Hand zur Faust und zischte eine lautlose Drohung in die Nacht. „Los…“, sagte Ragen mit heiserer, immer noch von Grauen erfüllter Stimme: „…wir haben einen König abzusetzen“

Die Höhle spuckte die Gefährten kurz unterhalb der Spitze des Berges aus, auf dem die Donnerspitze gebaut worden war. Unter ihnen erstreckte sich die Welt in wunderbarer Klarheit. Die Wälder am Fuße des Berges, die Schlucht mit der Brücke, Grimmirs Hütte und noch viel weiter entfernt der blaue Widerschein des Meeres, alles lag in silbernem Mondlicht vor ihnen ausgebreitet.

„Warum können Marc und Motir das nicht mehr sehen?“, sagte Ragen mit trauriger Stimme: „…und Ponn und Samuel. Merrit. Tropic und all die anderen? Wie können die Ahnen es erlauben, dass ihre Nachkommen in stinkenden Höhlen umkommen? Von den Schwarzen Schwertern von Gardisten und sogar von den Händen von einstigen Waffenbrüdern ermordet werden? Wer zur Hölle kann Gerechtigkeit verbreiten wenn nicht sie?!“ Wütend schlug er mit seinem Schwert in die leere Luft vor ihm ein.

„Wir können es“, sagte Amras ruhig „Und Arthanon ist dabei genau das zu erfahren!“

„Du hast Recht, Bruder! Beweinen wir nicht unsere Gefallenen, RÄCHEN WIR SIE!“

Die Burg ragte wie ein zweiter Berg vor ihnen auf, als sie sich der schwarzen Mauer näherten.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Amras seine Gefährten: „Wie kommen wir da rein?“

„Über den Friedhof und dann in die königlichen Gemächer“, antwortete einer der Männer. Leise wie Schatten schlichen Amras und seine Männer um die Mauern, bis sie zu einem offenen Stück Rasen kamen. Moosbewachsene Grabsteine bedeckten das Stück, nur erleuchtet von gelbem Fackelschein, der aus einer offenen Tür hinaus drang.

„Das müssen ja nette Leute hier sein, halten einem gleich die Tür auf“, sagte Ragen verächtlich. Ohne ein Geräusch, schlichen die Männer über den Friedhof, hinter jedem Grabstein Deckung nehmend. Amras war der Erste die Tür zu erreichen und lugte in den Eingang. Eine schlanke Frau mittleren Alters werkelte an einem großen, steinernen Ofen herum, während es hinter ihr in einem Kessel vernehmlich blubberte. Mit Handzeichen gab Amras seinen Freunden den Befehl näher zu kommen und sich um die Tür zu scharen.

„Wie kommen wir an ihr vorbei? Ich will nicht noch eine Frau auf unserem Weg umbringen müssen“, sagte Ragen nachdenklich.

„Ich habe eine Idee“, antwortete Amras.

Suchend sah er sich um und hob einen passenden Stein von einem der Gräber auf. Er zielte und warf ihn geschickt in eine offene Tür, die offenbar in einen Lagerraum führte. Ein lautes Scheppern ertönte von drinnen. Offenbar hatte Amras mehr getroffen als gewollt. Mit einem frustrierten Stöhnen wandte die Frau am Herdt sich dem Lärm zu. „Werde ich diese räudigen Riesen Ratten denn niemals los?“, sagte sie laut zu niemand bestimmtes und griff sich ein großes Hackbeil von der Anrichte „Und ich hab‘ ihr doch tausend Mal gesagt `Füttere sie nicht mit deinem magischen Weizen´, aber nein! Madame Natter hat ihren eigenen Kopf“, schimpfte die Frau während sie im Lager verschwand.

„Jetzt!“, sagte Amras leise und eilte seinen Männern voran in die Küche und von da aus in einen weiteren Gang der tiefer in die Burg hinein führte.

„Wie finden wir jetzt sein verfluchtes Schlafzimmer?“, wollte einer wissen, als sie sicher aus der Hörweite der Küche waren.

„Ich schlage vor wir sehn‘ uns ein wenig um. So groß kann das hier nicht sein.“, antwortete Amras.

Mit vorsichtigen Schritten drang die Gemeinschaft weiter vor. Irgendwann kam es Amras so vor, als hörte er Musik und Gelächter von irgendwo her. Dieser Eindruck verstärkte sich sogar noch, je weiter sie vorankamen.

Plötzlich endete der Gang an einer eichenen Tür, unter der helles Licht hervorschien. Vorsichtig, um jegliches Quietschen zu vermeiden, drückte Amras dagegen und öffnete sie langsam.

Helles Licht flutete ihm entgegen als er in den großen Raum hinausschaute. Sie befanden sich auf einer Art Brüstung über einer langgestreckten Halle, in der offensichtlich ein Fest in vollem Gange war. An einem großen Tisch in der Mitte saßen zahlreiche Leute, die sich an verschiedenen Speisen und Unmengen an Wein gütlich taten. Auf einer Seite war eine Bühne aufgebaut, auf der mehrere Musikanten sangen und spielten und am Kopfende der Halle saß, auf einem reich verzierten Thron,…

„Arthanon!“, Amras spuckte den Namen förmlich aus „Ich dachte der Mistsack ist die ganze Nacht im Spinnenwald jagen?“

„Die Spinnen haben es ihm offenbar leicht gemacht“, antwortete Ragen, spuckte diesmal wirklich und wies auf einige der toten Tiere in einer Ecke, die mit Pfeilen und Speeren förmlich gepfählt worden waren.

„Damit ist unser Plan wohl passé. Was nun?“

„Ich sage wozu die Mühe, bringen wir ihn gleich jetzt um!“, sagte Ragen und legte einen Pfeil auf seine Bogensehne.

„Du hast Recht. Pass nur auf das du nicht daneben schießt, eine zweite Chance haben wir nicht“

Ragen machte sich gar nicht einmal mehr die Mühe einer Antwort, sondern zielte sorgfältig. Er richtete den Pfeil eine Handbreit über dem Kopf des Königs aus, sodass er sofort an einem Pfeil in seiner Stirn sterben würde. Noch einmal korrigierte er den Kurs und lies den Pfeil von der Sehne. Genau in diesem Moment, als die Bogensehne den Pfeil mit einem tödlichen Sirren auf sein Opfer zu schickte, beugte sich der König nach vorne, um einen Schluck aus seinem Kelch zu nehmen. Mit einem dumpfen Geräusch drang der Pfeil in seine Krone ein, und nagelte sie am Thron fest.

Mit einem Schlag verstummte sämtliches Gelächter und Musik im Thronsaal und wich einer geschockten Stille.

„Wie kann man nur so ein verdammtes Glück haben?!“, fuhr Amras wutentbrannt auf und Riss sein Schwert und den Dolch aus der Scheide „Nun gut, dann eben auf die altmodische Art! FREIHEIT!“

Diesem Schlachtruf folgend, stürzten sich Ragen und die anderen Armas hinterher von der Brüstung auf die größtenteils unbewaffnete Gästeschar und die Handvoll Wachen, die am Rand der Halle standen.

Amras schlug zu und sein Schwert fuhr mit beruhigendem Knirschen durch den Brustpanzer einer Wache. Er verschwendete keine Zeit mit den anderen, sondern ging ohne zu zögern auf Arthanon zu, der versuchte in dem Chaos sein Schwert zu erreichen, das entfernt auf einem Beistelltisch lag. Doch bevor er es erreichen konnte berührte die Spitze von Amras drohend seine Kehle und der König hob die Arme. „Der Schlächterkönig höchst persönlich“, spottete Amras und senkte den Kopf wie zu einer Verbeugung, rammte ihm aber stattdessen die Stirn ins Gesicht, was Arnathon rücklings zu Boden fliegen ließ „Ich bin hier, damit ihr endlich für EURE Verbrechen in den Flüchtlingskriegen bezahlen könnt. Wie bekennt ihr euch? Schuldig, oder Schuldig?“, Amras Stimme schien vor Spott und Verachtung geradezu du triefen.

„Ich weiß nicht wovon du redest!“, knirschte Arthanon und wischte das Blut weg, das ihm aus der Nase in seinen mit silbernen Strähnen durchzogenen Bart lief.

Amras spuckte ihm ins Gesicht. „Ach nein? All die Unschuldigen die ihr habt hinrichten lassen. Die Männer die ihr eines Lebens mit ihren Familien beraubt habt, auf ein Leben als flüchtige, als Rebellen“, wieder spuckte Amras den König an „Für kein weiteres Verbrechen als die ersten zu sein die Schwarze Garde besiegt zu haben. Klingelt da was, oh König? Na?“ Amras Schwertspitze drang grade tief genug in die weiche Haut der Kehle ein, dass ein Rinnsal den Hals des Königs herablief.

Doch bevor Arthanon antworten konnte trat Ragen hinzu, in der Hand Arthanons Schwert, dass sich immer noch in seiner Lederscheide befand.

„Das ist also das legendäre, magische Schwert des Königs. Interessant“, sagte er und schüttelte die Scheide ab. Das Schwert erwachte mit einem Zischen zum Leben und hellrotes Feuer begann an seiner Klinge hinauf und hinunter zu lecken.

„Beeindruckend“, fügte Ragen spöttisch hinzu „Ich frage mich nur…würde der König sich an seine Verbrechen erinnern, wenn wir ein wenig nachhelfen?“

„Was hast du vor, Ragen, ihm das Teil den Arsch hochschieben?“, fragte einer von Amras‘ Männern und brach in heiseres Gelächter aus.

„Du kannst wohl Gedanken lesen, mein Freund“, sagte Ragen lächelnd und trat drohend auf den König zu.

Plötzlich verdunkelte ein Schatten den Mond vor dem Fenster und ein Krachen ertönte von der Tür des Thronsaals her, die die Männer vorher verrammelt hatten. Mit einem ohrenbetäubenden Splittern barsten die eichenen Türflügel nach innen und unzählige königliche Soldaten stürmten hinein.

„Verdammt! Bring ihn um bevor es zu spät ist!“, brüllte Ragen Amras zu und stellte sich den Angreifern entgegen. Doch es war bereits zu spät. Ein riesiger, schwarzer Schatten riss Amras von den Beinen und sandte sein Schwert schlitternd unter einen Tisch. Schwarze Krallen hieben auf sein Gesicht ein und ein heißer Schmerz zog sich über seine Wange. Blindlings schlug er nach dem Angreifer und bekam eine Hand voll Fell zu fassen. Mit aller Macht zog er daran, verlor es jedoch wieder als etwas halt gegen seinen Schädel schlug. Ihm war als wäre sein Schädel gespalten worden, so schlimm war der Schmerz der folgte.

Schwarze Flecken tanzten in einem Schleier aus Blut vor seinen Augen als er sie öffnete. Nicht weit entfernt versuchte einer seiner Gefährten hoffnungslos seine Eingeweide zurück in seine aufgeschlitzte Bauchhöhle zu stopfen. Im Hintergrund sah er Ragen, das flammende Schwert immer noch in der Hand, vor fünf Soldaten zu einem Fenster zurückweichen. Als sein Rücken das teure Glas berührte, hieb er mit dem Schwertknauf dagegen und warf sich hinaus in die Dunkelheit.

Verzweifelt richtete Amras seinen Blick nach oben wo eigentlich hätte die Decke sein sollten. Stattdessen schaute er gradewegs in zwei große, gelbe Augen mit schwarzen Pupillen, die halb unter einer schwarzen Kapuze verborgen lagen. „Ich sagte doch ich finde heraus ob du lügst.“, zischte ihm eine leise, raue Stimme ins Ohr: „Genau genommen hast du sogar zwei Mal gelogen“

Unter dem Schleier aus Blut und schwarzen Punkten sah Amras gerade noch eine krallenbewehrte Faust auf sich zu rauschen. Dann wurde die Welt plötzlich schwarz.

Zwei Tage nach diesen Ereignissen brach die große Flut über Sommerland herein. Seither ist Arthanons legendäres, flammendes Schwert verschollen.

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